Fechter
Psycho-Thriller nach wahren Begebenheiten
Über den Tatsachen-Roman
Auszüge aus dem Leben eines jungen Söldners.
Nach seiner Zeit bei der Fremdenlegion arbeitet er für jeden, der, wie er, sich gegen Terroristen wendet - und ihn dafür bezahlt. Ob z. B. im Libanon oder im Einsatz für Geheimdienste, Wolf Fechter, der Protagonist, ist Söldner aus tiefster Überzeugung.
Bis zu dem Tag, als man ihn zum Narren hält und sich weigert, ihn zu bezahlen.
Folgen Sie Wolf Fechter u. a. nach Spanien, in den Libanon, die Niederlande und durch Deutschland.
Der erfolgreiche Roman Fechter ist ein dynamischer Thriller, dessen Haupthandlungen sich in der Zeit von Anfang bis Ende der 1980er Jahre ereigneten.
Fechter
Psycho-Thriller von
Olaf W. Fichte
Fechter: Zwanzigster Teil
Später kaufte ich im Supermarkt am Stadtrand Reiseproviant für drei Tage. Ich rechnete mit verstopften Straßen und überrannten Raststätten – eben den unausweichlichen, erheblichen Verzögerungen und Behinderungen im Urlaubsverkehr während der Hochsaison.
Ja, ich werde selbst fahren müssen – in meinem kleinen roten Auto. Ulla ist, wie Sie wissen, verschwunden. Und trampen war mir zu unsicher. Wer hätte schon sagen können, im wievielten Herbst ich dann mein Ziel erreichen würde.
Wartend stand ich in der Schlange vor der Kasse. Noch eins, zwei ... sieben Kunden vor mir. Ich sah auf die Uhr: drei nach zwölf. Jetzt aber Gas. Ich musste nach Marbella und wollte sicher sein, vor Sorbete anzukommen. Natürlich nahm Pünktlichkeit einen hohen Stellenwert auf meiner Zuverlässigkeitsskala ein. Doch war das nicht allein der Grund für meine Eile. Auch mein Sicherheitsempfinden war sehr ausgeprägt. Damit ich die Umgebung und den Ort unseres Treffens so gut es ging abchecken konnte, bedurfte es einiger Minuten.
Unweit des Hafens steuerte ich einen bewachten Parkplatz an, gab meinen Wagen in die Obhut des Wächters und machte mich auf zum Jachthafen. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung nahm ich zur Kenntnis, dass ich es war, der den herumstolzierenden Auslagen die Show stahl. Meine Kappe, der Vollbart und natürlich die gepflegte Lederkluft zog alle Aufmerksamkeit magisch an. Der Flaneur in Schwarz nahm es mit Genugtuung. Allem Anschein nach kam es nicht allzu oft vor, dass sich einer mit der Ausstrahlung wie der meinigen schutzlos (gemeint ist der Sonnenschutz) in das Gehege der schönen Menschen vorwagte. Einen Moment zog ich in Erwägung, mich an einen beliebigen Tisch zu setzen und einladen zu lassen, nur um die Leidensmienen kuchenfressender Langweiler zu studieren.
Wer sich in der Glut der Mittagshitze in einem südspanischen Luxus-Jachthafen herumtreibt, ist entweder schön, dumm, schön dumm, schön und dumm und reich oder halbseiden. Eine unmittelbare Gefährdung für unser konspiratives Treffen erkannte ich nicht.
Vorbei an bildschönen, traumhaften Jachten, exklusiven Boutiquen und unverschämt teuren Cafés entdeckte ich die von Sorbete favorisierte Bar. Ich schlängelte mich über die mit weißen Plastiktischen und ebensolchem Gestühl verbaute Terrasse.
Am Rand, unter dem Schatten spendendem Vordach, verwöhnte sich ein nicht mehr ganz frisches Pärchen im Werbegeschenkpartnerlook mit Eistee. Mein Lächeln bemerkten sie nicht. Ihr blöder Eistee war ihnen wichtiger als meine Häme.
Durch die gänzlich geöffnete Vorderfront gelangte ich in das Innere der Bar und setzte mich an die u-förmige, zum Eingang hin offene, Theke. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die neuen Lichtverhältnisse. Es war nicht dunkel. Bestimmt nicht. Aber auch nicht eben hell genug, um ein Buch oder die Zeitung lesen zu können, ohne mit der Nasenspitze über die Seiten schleifen zu müssen.
Ich bestellte einen Kaffee mit Milch und Zucker, drehte mich eine halbe Drehung nach rechts und sah touristisch gelangweilt interessiert hinaus aufs Hafenbecken.
Ist es nicht aufregend, ein schöner Mensch zu sein, fragte ich mich? Nörgelnd den lieben langen Tag verbringen, unbefriedigt von einer Vernissage zur nächsten großartigen Party hecheln, sich durch Kunstführer blättern, reden, ohne etwas zu sagen, und sich über nachlässig gekleidete Nudisten echauffieren.
Schöne Menschen haben es wahrlich nicht einfach, nichts als ein umwerfend schönes Thema zu sein. Leider fehlte mir die Zeit für eine Vertiefung. Mein Kaffee wurde gebracht. Ich zahlte und verzog mich in den rückwärtigen Teil.
Vier Stühle an einem Tisch waren zwei zu viel. Sorbete, davon ging ich aus, würde allein kommen. Und Gäste waren unerwünscht. Kurzerhand schob ich zwei der billigen Plastikteile einen Tisch weiter und setzte mich wieder – den Eingang im Blick, die Wand im Rücken. Nur drei Tische zwischen mir und der Terrasse. Was sollte jetzt noch misslingen?
Eine Minute vor dreizehn Uhr schlenderte ein etwa dreiundzwanzigjähriger schlanker, rothaariger Brillenträger um das Ende der Theke.
„Hola!“, begrüßte er mich lächelnd und reichte seine Hand.
Ich griff nach ihr. Sie war warm, weich und feucht.
„Mit wem habe ich das Vergnügen?“
Er lachte gurrend.
„Sorbete.“
Der Kellner, ein widerwärtig schmieriger Typ mit pomadisiertem, zurückgekämmtem Haar, eilte herbei. Sorbete (Es war doch Sorbete?) bestellte Bier, ich Kaffee.
Meine anfänglichen Zweifel kamen nicht von ungefähr. Insbesondere seine papageienhafte Erscheinung brachte mich aus dem Konzept. Unter einem babyblauen Anzug trug er ein grellgelbes Hemd und eine giftgrüne Krawatte mit vielen kleinen leuchtend roten Pünktchen. Dazu weiße Halbschuhe. Aber keine Socken. Auch wenn der Verzicht auf Socken für den Spanier sprach, so fragte ich mich dennoch, begibt sich ein einigermaßen vernünftiger Terrorist in einem derart lächerlichen Aufzug zu einem konspirativen Treffen? Ich sagte mir, Nein. Es war ja nicht so, als könne ich nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen.
Sorbete sah das natürlich anders. Wollte mir der Glattgesichtige am Ende meinen Auftritt streitig machen?
„Ich habe später noch einen Termin. Außerdem fällt man mit diesen Klamotten in der Gegend hier nicht weiter auf.“
Hat der eine Ahnung. Von wegen nicht auffallen. In deinem letzten Buch drehte sich wohl alles um Karneval unterm Zuckerhut.
Papagallo brachte die Getränke.
„Lass uns gleich zum Thema kommen.“
„Sprich!“, forderte ich ihn auf und hoffte, er möge sich endlich aus seinem Jackett pellen. Das aber tat er nicht. Also behielt ich meine Lederjacke an und schwitzte eben weiter.
„Die letzte Zeit war etwas hektisch für mich. Aber kein Problem. Also ...“ Er setzte sein Bierglas auf die Unterlippe und nahm zwei kräftige Schlucke. „Wir befinden uns in so einer Art Vorbereitungsstadium, in das wir dich nicht mehr einbinden können – und wollen.“ Er machte eine Pause, um sein Glas, das er noch in der linken Hand hielt, erneut zum Mund zu führen.
Ich lächelte wissend. Wovon sprach er? Wir hatten keine Abmachungen getroffen, für die er sich hätte rechtfertigen müssen. Abwarten, vielleicht gibt er noch den einen oder anderen Hinweis preis.
„Wir sind übereingekommen, dass wir, du und ich, uns am siebenundzwanzigsten November – ist übrigens ein Freitag – wieder hier in dieser Bar treffen werden. Dreizehn Uhr.“
Das hätte der mir auch am Telefon sagen können, anstatt mich durch die Mittagsglut zu scheuchen. Sein Anblick wäre mir ebenso erspart geblieben wie diese abartigen Ausdünstungen. Ich nickte verstehend und fragte mich, wann er dazu übergehe, so zu sprechen, dass ich ihn verstehen könne?
„Dann reden wir über die Aufgabe, die wir dir zugedacht haben.“ Er sah mir in die Augen. Unruhig, als suche er sein Spiegelbild darin. „Können wir uns einigen“, fuhr er mit verhaltener Stimme fort, „fahren wir übers Wochenende nach Bilbao, wo man dich näher kennenlernen möchte. Von denen erhältst du dann alle weiteren Instruktionen. Danach geht’s ein paar Tage nach Nordafrika. Und Ende des Jahres kannst du zeigen, was du draufhast.“
Habe wohl in ein Beamtennest gestochen? Warum muss eigentlich immer alles verkompliziert werden?
„Muss ich mich um Arbeitsgerät und Ausstattung selbst kümmern? Wie sieht die Bezahlung aus?“
„Nichts dergleichen. Deshalb bin ich hier unten. Nebensächliches, wie deine Bezahlung, darüber wird in Bilbao entschieden.“
Nebensächliches? Noch ein Wort aus der Richtung und du wirst mir unsympathisch, mein kleiner bunter Freund.
Natürlich war mir nicht unbekannt, dass die ETA Drogen gegen Waffen tauschte. Häufig liefen die Deals an der Costa del Sol ab. Wohl des gesünderen Klimas wegen.
Wir sprachen noch etwa zwanzig Minuten miteinander, dann drängte Sorbete zum Aufbruch. Ein Handschlag, ein knappes „Hasta Luego!“, und weg war er. Untergetaucht in einem an der Bar vorüberziehenden wild um sich knipsenden Schwarm Touristen.
Wenigstens für Nerja hätte er sich entschuldigen können. Aber nein, kein Wort. Eine Arroganz haben die Terroristen heutzutage. Erst Zumaia, dann Nerja und jetzt das hier: Nahm diese Planlosigkeit denn nie ein Ende?
Halts Maul, ermahnte mich mein anderes Ich. Chaos ist das, was uns bestimmt und weiterbringt. Der ausgefeilteste Plan hilft dir nichts, wenn du keinen Angriffspunkt hast. Um die Ordnung beherrschen zu können, musst du das Chaos lieben.
Und wie nun weiter? Das Beste wird sein, ich zahle erst einmal. Alles zusammen. Merde!
Von meinen beiden Alten holte ich wie immer makellose Wäsche, dann fuhr ich zur Konditorei. Ein schönes Gefühl, zu wissen, man kann sich auf jemanden verlassen.
„Fährst du also doch.“
Ulli sah auf die Tüte mit der Wäsche, die ich unterm Arm trug.
Es duftete nach frischem Kuchen.
„Ja! Heute Nacht.“
„Ich verstehe nicht, was dich plötzlich ins kalte Deutschland zieht“, und reichte mir einen Teller mit einem Stück noch dampfenden Streuselkuchen. „Hier bist du jedenfalls jederzeit willkommen.“
Schnell biss ich vom Kuchen ab und sagte mit vollem Mund, ohne aufzublicken, leise: „Danke.“ Schnell noch einen Happen. Gott, wie ich diese fetten Butterstreusel liebte. Beinahe so lecker wie Mohnkuchen.
„He, da bist du ja!“, rief Teresa, sich an der Backstubentür festhaltend.
Erleichtert atmete ich auf.
Sie kam herein und drückte mir einen ihrer ekelhaft feuchten Küsse auf die Wange.
„Die Geheimpolizei beobachtet dich.“
„Ich weiß.“
Ich wusste es nicht. Es war mir auch nicht wichtig, weil ich mich ohnehin ständig so verhielt, als beäuge mich irgendein Spanner.
„Die sind nicht von der Geheimpolizei. Das sind Paparazzi, weiß du. Neulich traf ich einen und sagte ihm, ich sei Travolta. Seither kleben sie an mir.“
Ulli garnierte eine bestellte Geburtstagstorte. Eine Sonderanfertigung in Form eines Teddybären. Nun warf er das Säckchen mit der Sahne auf den Tisch und lachte laut auf.
So schnell brachte Teresa nichts aus der Fassung. Tadelnd sah sie erst Ulli dann mich an.
„Idioten!“, fauchte sie, fuhr mit den Fingern durch ihre blonde Lockenmähne und verhedderte sich dar.
Die Verbissenheit in ihren Augen, mit der sie versuchte, Herrin über ihre Hilflosigkeit zu werden, verführte auch mich zum Lachen. So gut es eben ging, wenn einem die Kuchenbrösel aus dem Gesicht fallen. Ulli sah zu ihr – und lachte noch lauter. Und Teresa stand vorm Kühlschrank und unternahm verzweifelte Anstrengungen, ihre Finger aus dem Dickicht zu befreien. Mit einem kräftigen Ruck schaffte sie es schließlich. Ich kratzte mir am Kopf, während sie sich mit einem verächtlichen: „Männer!“, verabschiedete.
Kurz nach ihr, ging auch ich. Vor dem MANICOMIO nahm ich meinen Stammplatz ein und bestellte Kaffee. Heiß brannte mir die Sonne auf den Pelz und schob etwas an. Das große Nachdenken setzte ein. Ich war nicht scharf auf diese Gedanken. Wirklich nicht. Sie kamen, ohne dass ich nach ihnen fragte oder suchte.
Es waren sehr aufdringliche Gedanken, die ich Ihnen keinesfalls vorenthalten möchte. Bei aller Freundschaft, ersparen kann ich Ihnen das nicht.
Wir, das sind die, die man Menschen nennt, brauchen Katastrophen. Wir dürsten nach ihnen. Ein paar Tage vielleicht, Wochen gerade noch, aber Jahre ohne handfeste Katastrophe – das hält kein Mensch aus. Alles sehnt sich nach Harmonie und sucht doch nur das Abenteuer einer Katastrophe. Denn erst die Katastrophe bringt uns das, wonach wir tagtäglich in der Zeitung suchen: Leid und Zerstörung. Wir geben uns betroffen und zugleich im tiefsten Innersten befriedigt. Hoffen setzt ein. Welcher Veranstalter organisiert Reisen in Krisenherde? Sollte ich meinen Wohnsitz in die Nähe eines Vulkans verlegen? Oder schlicht an einem Schlüpfergummi kopfüber von der Brücke stürzen, um dem bisschen Hirn, dass mir vergönnt ist, ein paar Spritzer Blut zuzuführen? Katastrophen schweißen zusammen. Man grüßt sich wieder, erfährt die Vornamen der Nachbarn, die Augenfarbe seiner Frau, den Hochzeitstag der Schwiegereltern und, dass jene, derer wegen wir die Straßenseite wechselten, eigentlich dufte Kumpels sind. Man hilft sich, teilt Leid, Schmerz und Brot.
Es bleibt Träumerei. Die Katastrophe bleibt aus. Weiterhin ergötzen wir uns an denen, die uns zu Füßen in der Gosse verrecken. Keiner gibt ihnen ein Stück Brot. Sie werden mit guten Ratschlägen überhäuft und mit drohenden Paragrafen beschimpft, die besagen, dass entsprechend der Gemeindeordnung brotloses dahinvegetieren auf Parkbänken unter Strafe steht.
Wir fragen nicht nach dem, was sie bewog, ein Leben zu führen, dass selbst einer Kanalratte unwürdig erscheinen dürfte.
Nun ja, ich erwähnte es bereits: Es war abartig heiß für diese Stunde. Manche macht brütende Hitze läufig, andere hingegen ... Lassen wir das.
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