Fechter
Psycho-Thriller nach wahren Begebenheiten
Über den Tatsachen-Roman
Auszüge aus dem Leben eines jungen Söldners.
Nach seiner Zeit bei der Fremdenlegion arbeitet er für jeden, der, wie er, sich gegen Terroristen wendet - und ihn dafür bezahlt. Ob z. B. im Libanon oder im Einsatz für Geheimdienste, Wolf Fechter, der Protagonist, ist Söldner aus tiefster Überzeugung.
Bis zu dem Tag, als man ihn zum Narren hält und sich weigert, ihn zu bezahlen.
Folgen Sie Wolf Fechter u. a. nach Spanien, in den Libanon, die Niederlande und durch Deutschland.
Der erfolgreiche Roman Fechter ist ein dynamischer Thriller, dessen Haupthandlungen sich in der Zeit von Anfang bis Ende der 1980er Jahre ereigneten.
Fechter
Psycho-Thriller von
Olaf W. Fichte
Fechter: Einundzwanzigster Teil
Nachdem ich das zweite Glas geleert hatte, fuhr ich zur Tankstelle am Stadtrand, gegenüber eines Supermarktes, und tankte mein kleines rotes Auto und den Reservekanister voll.
Keine Frage, ich sah die Notwendigkeit der Reise, stellte aber zugleich eine Tendenz zur Schwermut an mir fest. Dämliche Gefühlsduselei. Wie ich das hasse. Irgendwie peinlich, an dieser Stelle davon zu sprechen.
Anschließend packte ich das Allernotwendigste zusammen: Messer, einen Teil meiner Ausrüstung, Schreibutensilien, Straßenkarten, Wechselwäsche und – ganz wichtig – Adressbuch fanden Platz im Seesack.
Am Abend dann, es muss so um zwanzig Uhr gewesen sein, traf ich Ulli in Teresas Cerveceria. Wir spielten Billard und aßen delikaten, zarten rohen Schinken vom Schwarzfußschwein auf Weißbrot. Das, so hoffte ich, sollte meine Erinnerung bewahren und meinem Magen durch die Nacht helfen.
„Bist du blank?“
Ulli wurde unangenehm direkt.
Natürlich waren meine Vorräte irgendwann erschöpft.
„Ich doch nicht. Außerdem gibt es in Deutschland Nachschub.“
„Na dann, alter Schamane, halt die Ohren steif. Und vor allem, bau keinen Mist.“
Wir drückten uns zum Abschied fest die Hände. Ich musste los, auf Seilers Anruf warten.
„Allerspätestens in drei Monaten bin ich zurück. Den Bäckerschlüssel schiebe ich dann unten durch die Tür durch.“
„Schon in Ordnung.“
Ich war schon einige Schritte gegangen, als mir Ulli nachrief: „He! Irgendeiner wartet immer. Du weißt schon.“ Er machte eine kurze Pause, verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln, sah an mir vorbei und fügte mit leiser, rauer Stimme hinzu: „Pass auf dich auf. Sind böse Menschen unterwegs.“
„Aber nur bei Wetter.“ Ich lächelte verzerrt und schluckte schwer.
Gott, wie ich Abschiede hasse. Jedes Mal dieses unerklärliche Feeling dem Erstickungstod nahe zu sein.
Ein Glück, das ich Teresa entkam. Geschickt nutzte ich die zwei Minuten, die sie hinter der Toilettentür verschwand.
Ob Ulli mir nachsah – ich weiß es nicht. Ich ging einfach weiter. Hob noch einmal kurz den rechten Arm in die Höhe und schüttelte die Hand. Mehr war einfach nicht drin.
Seiler wollte um 23 Uhr anrufen. Als das Telefon anschlug, war es 00:35 Uhr.
„Ich habe Neuigkeiten für dich“, plapperte er ohne Begrüßung drauflos.
„Da bin ich aber mal gespannt.“
Es interessierte mich nicht die Bohne.
„Mit Bayonne, das wird nichts. Die französischen Kollegen meinen, es sei aussichtslos. Du gehst nach Holland.“
„Nett.“
„Meine ich auch. Sobald du angekommen bist, ruf mich an.“
„Und womit? Und überhaupt: Holland ist groß. Wohin soll ich? Und wie stellt ihr euch vor, dass ich dahin komme? Wo bleibt meine Kohle? Oder bleibt mir Zeit, um noch schnell mal einen Bankbesuch abzustatten?“
„Sag so was nicht am Telefon. Dir wird schon was einfallen. Rufe an! Ich werde dich wie immer zurückrufen. Dann wirst du auch dein Einsatzgebiet erfahren. Und, wer weiß, vielleicht gibt’s dann auch wieder was auf die Hand.“
Das hat er tatsächlich so gesagt. Und der Teilnahmslosigkeit seiner Worte entnahm ich, dass er es auch so meinte. Es verschlug mir nicht die Sprache, stärkte jedoch meinen Drang, mein unendliches Verlangen, nach Deutschland zu reisen.
„Bist du noch da?“
Natürlich war ich noch da. Wer hätte sich einem anspornenden Plausch wie diesem schon entziehen können. Und wäre andernfalls nicht ein gewisses Tuten im Hörer zu hören?
„Aber selbstverständlich.“
„Wann können wir mit dir rechnen?“
„Ein paar Tage vielleicht? Oder etwas länger? Gönnen Sie mir die Überraschung.“
„Du hast vierzehn Tage. Melde dich! Gute Reise.“
Großzügig bemessen. Wirklich großzügig. Wahrscheinlich nahm er an, einer wie ich würde den langen Weg auf allen vieren zurücklegen.
„Herzlichen Dank auch!“, schrie ich, doch er hatte bereits aufgelegt.
Ich verschloss die Tür zur Pasteleria und schob den Schlüssel schwungvoll durch den schmalen Spalt am unteren Türrand in den Verkaufsraum. Entgegen unserer Absprache war Teresa nicht in ihrem Laden, sondern daheim. Schlimmer noch, sie wartete ungeduldig vor der offenstehenden Haustür auf der Straße.
„Na, endlich!“, stöhnte sie, hielt ihr Glas mit Was-weiß-ich darin am ausgestreckten Arm weit von sich, und umarmte mich mit der freien Rechten.
Im Gehen schob ich sie ins Haus, so als hätte ich sie nicht bemerkt, befreite mich mit einer sanften Drehung nach rechts aus ihrem Fangarm, entging galant weiteren Atemstößen und stellte die beiden Gepäckstücke, die ich in den Händen trug, ab. Die Reisetasche, so war es zwischen uns abgesprochen, würde sie bis zu meiner Rückkehr aufbewahren. Der Seesack käme mit mir mit.
Nachdem Teresa einen vorzüglich und wohltuend starken Kaffee gekocht und wir ihn gemeinsam in gemütlich gespannter Atmosphäre getrunken hatten, plauderten wir über unverfängliche Banalitäten. Wir saßen uns in zwei Sesseln vor dem Fenster ihres Wohnzimmers gegenüber. Zwischen uns ein kleines Tischchen mit einer Kerze und einem halb vollen Aschenbecher darauf. Das Fenster stand offen.
Ein mildes Lüftchen kam über die Straße, streichelte durch ihr Haar und über das glückliche Lächeln auf ihren Lippen. Sie hielt ihr Glas mit beiden Händen und wechselte ruhelose Blicke von meinen Augen über meinen Mund zum Schritt. Ausgesprochen unangenehm. Ich drückte meine Zigarette aus, spielte einige Sekunden mit den Kippen im Aschenbecher, sah an die Decke und sagte, ich müsse mal kurz zur Toilette. Sie nickte und sah noch immer auf meinen Platz, als ich ihn bereits verlassen hatte.
Es war zwei Uhr in der Früh des 28. August, als ich mit dem Seesack in der Hand fluchtartig ihr Haus verließ.
Weshalb ich so verdammt lange wartete, fragen Sie sich? Sie erinnern sich: Ich hatte einen Auftrag – einen Job, den ich mochte und brauchte. Erst jetzt bot sich mir ein Anlass. Und irgendetwas sagte mir, es war zu spät. Denn jeder konkrete Anlass ist ein Anlass zu spät. Nichtsdestotrotz wollte ich sie in ihrem eigenen Revier stellen. Nein, ich musste. Ich musste, weil ich nun mal kein Mann für eine angebrochene Nacht bin. Es war höchste Zeit, meine Religion auszuüben. Ich musste ein Fanal setzen. Auch wenn Sie anderer Meinung sind, gewöhnliche Hunde liegen niemals irgendwo, sie liegen immer an derselben Stelle begraben.
Bei Malaga drangsalierten mich plötzlich auftretende intervallartige Schmerzen im Magen und in der Nierengegend. Ich hielt auf dem Seitenstreifen, stieg aus, verbeugte mich ein paar Mal, trank ein paar Schlucke Wasser und ließ es kräftig brummen. Nach den Luftstößen ging es mir wieder besser.
Vorbei an der Universitätsstadt Granada fuhr ich weiter über Murcia nach Alicante. Obwohl diese Strecke länger an Kilometern war, so war sie letztendlich doch kürzer als die Küstenstraße. Ich kam schneller voran, weil mir der nur langsam dahintröpfelnde Touristen-Rückreiseverkehr, erspart blieb.
Nur einmal noch nahm ich meinen Fuß vom Gas. Das aggressive Rot einer Ampel in einem Kaff bei Alicante, bei dessen Durchfahrt kein klardenkender Mensch auf den Gedanken käme, in dieser Öde elektrischen Strom zu vermuten, bremste mich aus. Die Handvoll verstreuter Häuschen nahm ich erst an der Ampel stehend wahr. Weit und breit kein Mensch, auch kein Straßenköter, nicht mal Schafscheiße. Und ich Schrankenwärter gehe auf die Bremse. Geschlagene drei Minuten geduldete ich mich vor der polierten Sehenswürdigkeit des Ortes, dann schob ich meinen Fuß eine Kleinigkeit nach rechts und peilte in Richtung Valencia und weiter nach Barcelona.
Sechszehn Stunden nach Teresas vorzüglichem Kaffee rollte ich auf den Grenzübergang nach Frankreich zu. Wohnmobile, Pkws und allerlei andere Gefährte stauten sich. Es war heiß und die meisten Mädchen begnügten sich mit einem Minimum an Körperverzierung.
Es war ein sonniger, hochsommerlicher Tag. Geblendet vom Licht und der Reize rollte ich im Schritttempo an den Kontrollpunkt heran. Ein kurzer musternder Blick auf mich, ein ebensolcher in das Wageninnere und eine eifrig wedelnde Hand.
Entspannt setzte ich meine Fahrt fort.
Frankreich – Im Januar
Ein großartiges Gefühl. Schlichtweg umwerfend. Einfach fulminant! Es war, als führe ich zu einem ganz, ganz großen Ereignis. Ohne zu wissen, was es Schöneres geben konnte, als an diesem Tag in diesem Zug nach Strasbourg zu sitzen.
Extra für diesen ganz besonderen Tag gönnte ich mir von meinen Ersparnissen eine neue Jeans. Eine echte Levi’s. Eine 501, um genau zu sein. So ein geiles Teil mit vielen Knöpfen und quietscheng am Arsch und so. Oder jedenfalls fast, denn am Bund war sie etwas zu weit und an den Beinen einige Zentimeter zu lang. Aber wem stört das schon; es war eine Levi’s. Die erste Levi’s in meinem Leben. Und die erste Jeans überhaupt.
Ich legte die Beine auf den Sitz gegenüber. Leger wie ein Cowboy, der jede Gelegenheit nutzte, seine Beine hochzulegen, um sich von mühevollen Ausritten zu entspannen. Das Abteil war leer, doch sollte jeder, der sich den Gang entlangquälte einen Blick auf meine nagelneue, indigoblaue Levi’s werfen können.
Ich sah aus dem Fenster und lächelte einfach so vor mich hin, ohne dass Geringste wahrzunehmen. Wer versehentlich nicht meine Levi’s, sondern mein Gesicht anstarrte, musste sich fragen, ob der Junge noch alle beisammenhabe. Er hatte. Was für ein herrlicher Tag. Der schönste zweite Januar seit beinahe sechzehn Jahren.
Bedächtig entstieg ich dem Zug, sah mich orientierend um und ging den Bahnsteig zur Halle hinunter. Ich hatte das Gefühl, von jedem gemustert, abgetastet, verurteilt zu werden. So als wüssten sie, wer ich sei und wohin es mich treibe. Vorwurfsvolle Blicke trafen mich. Ich wurde unsicher. Mein Schritt veränderte sich zu einem hilflosen Tapsen.
Es war wohl eine Art Signal. Mein Gewissen wollte mir zu verstehen geben, dass man nicht neunundzwanzig Tage vor seinem sechzehnten Geburtstag von daheim, von seinen Eltern ausbüxt, ohne sich wenigsten von seinen Freunden zu verabschieden. Blödsinn! Ich hatte keine Freunde. Und überhaupt, was sollte aus mir werden, wenn ich auch noch die Schule hinwarf? Ich antwortete dem nervtötenden Querulanten, dass MAN sich vielleicht anders verhalten hätte, nicht aber Wolf Fechter. Denn Wolf Fechter hatte schon lange keine Eltern mehr.
Richtige Eltern verprügeln ihren Sohn nicht ohne besonderen Anlass, nur weil der Klub verlor, das Geld ausging oder sie nichts mit sich anzufangen wussten. Und sie vögeln auch nicht im Beisein pubertierender Söhne wild durch die Wohnung. Manchmal fielen sie gleich nach dem gemeinsamen Mittagessen mit vollem Bauch übereinander her. Sie hassten Haustiere und führten sich auf wie Vieh.
Ich quetschte mich dann aus der Bank, stieg über sie hinweg und stürmte von der Küche ins Badezimmer. Mein Kleiner wollte gestreichelt werden.
Noch immer etwas unsicher auf den Beinen und in der Stimme, trug ich einem jungen Bahnpolizisten mein Anliegen vor. In für mich überraschend hervorragendem Deutsch bat er mich, einen Moment zu warten. Geduldig wartete ich gegenüber eines Autoverleihs auf einem steinernen Papierkorb sitzend eine Zigarette nach der anderen rauchend.
Und als der Moment nach anderthalb Stunden vorüber war, saß ich in einem grünen Militär-Geländewagen mit Stoffverdeck. Am Steuer ein Glatzkopf mit Képi blanc – DEM Képi blanc. Ich jubelte leise in mich hinein. Immer und immer wieder. Meine weit aufgerissenen Augen ruhten auf dem weißen Képi vor mir, und mein Körper zitterte vor Aufregung. Ich war dabei, hatte es geschafft, gehörte dazu, wurde einer von ihnen – der zweitbesten Armee der Welt. Der Légion étrangère. Ein lang, lang, lang gehegter Traum ging in Erfüllung. Mein Traum seit bestimmt schon zwei Jahren. Es war bereits der Zweite nach der Levi’s, der sich binnen weniger Tage erfüllte. Es war überhaupt der Zweite, der jemals in Erfüllung ging. Mein Herz klopfte wild und Schweiß rann in Bächen aus den Achselhöhlen hinab bis zur Levi’s.
Danach geschah eine endlos lange Woche überhaupt nichts. Das heißt, abgesehen von den Haaren, die man mir bis auf drei Millimeter nahm, die Hast von einer Untersuchung zur anderen und den unzähligen Fragen zu meiner Herkunft. Letzteres hing vermutlich auch damit zusammen, dass ich unter einem merkwürdigen, ganz plötzlich und unerwartet eintretenden Gedächtnisschwund litt, und darüber hinaus dummerweise auch keine Ausweispapiere bei mir trug. Ich gab an, achtzehn Jahre alt zu sein, erfand eine neue, viel bessere Familie und fühlte mich unheimlich wohl dabei.
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