Fechter
Psycho-Thriller nach wahren Begebenheiten
Über den Tatsachen-Roman
Auszüge aus dem Leben eines jungen Söldners.
Nach seiner Zeit bei der Fremdenlegion arbeitet er für jeden, der, wie er, sich gegen Terroristen wendet - und ihn dafür bezahlt. Ob z. B. im Libanon oder im Einsatz für Geheimdienste, Wolf Fechter, der Protagonist, ist Söldner aus tiefster Überzeugung.
Bis zu dem Tag, als man ihn zum Narren hält und sich weigert, ihn zu bezahlen.
Folgen Sie Wolf Fechter u. a. nach Spanien, in den Libanon, die Niederlande und durch Deutschland.
Der erfolgreiche Roman Fechter ist ein dynamischer Thriller, dessen Haupthandlungen sich in der Zeit von Anfang bis Ende der 1980er Jahre ereigneten.
Fechter
Psycho-Thriller von
Olaf W. Fichte
Fechter: Zehnter Teil
Dann, nach siebzehn Tagen, meldete ich Vollzug und zog ins „Bunte Haus“ nach Erlenstegen, einem Stadtviertel, in das sich jene zurückzogen, die sich selbst allzu gern auf der Sonnenseite unserer Gesellschaft sahen. Natürlich eiferte ich ihnen nicht nach. Ich begnügte mich mit einer ehemaligen Fleischerei, die während des 1981er Hausbesetzerkampfes kassiert und ein Jahr später – wenige Tage vor meinem Auftritt – mit einem städtischen Mietvertrag an die Besetzer freigegeben wurde.
Ein kleines verträumtes, bäuerlich anmutendes Anwesen mit großem Hof, umgeben von einem verwilderten Gärtchen mit vier uralten Was-weiß-ich-Bäumen, einer Bundesstraße, der Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 4 samt Wendeschleife und einem meterhoch aufgeschütteten Bahndamm.
Sechs schmuddelige, zurückhaltend interessiert lächelnde Gymnasiasten hatten sich im vormaligen Verkaufsraum, der nun Wohnküche hieß, um den schweren massivhölzernen Küchentisch versammelt, und hielten VV. Sie gaben sich wirklich alle Mühe, das darzustellen, was sie eine Wohngemeinschaft nannten, und nahmen sich und ihr Handeln furchtbar ernst. Ich stellte mich vor, unterzog mich einer dilettantischen Aushorche und ging wieder vor die Tür, während sie, über Pfefferminztee und Buttergebäck gebeugt, beratschlagten und nach nur drei Stunden eine fürwahr weise Entscheidung fällten.
Die Vollversammlung, weihte mich ein dürrer Langhaariger in (man stelle sich das Mal vor) pinkfarbenen Cordhosen ein, nachdem er mich zu einem Pot ihres widerlichen Gesöffs in die gesellige Runde seiner Artgenossen gebeten hatte, habe einstimmig über mein uneingeschränktes Bleiberecht entschieden.
Daraufhin bezog ich mein kleines Zimmer mit malerischem Bahndammblick im ersten Stock, mied fortan Friseur und Rasierklinge und legte mir eine spesenbegünstigte schwarze Motorradlederjacke, ebensolche Jeans, Springerstiefel und Hassmaske zu. Man will ja angemessen gekleidet und ordentlich vermummt sein.
Mein Lerneifer war ungebrochen. Ich politisierte mich, wie Kerker das Schwafeln von Utopien, über ungereimtes Zeug und hochgradigem Schwachsinn bezeichnete. Und nach fünf Wochen nahm mich Ulrike (sie hauste im früheren Kühlraum neben der Küche) zum wöchentlich stattfindenden Plenum, dem Allerheiligsten, dem geheimen Strategietreffen der Autonomen, mit.
Nach weiteren neun Wochen bezog mich die Horde schließlich in die Planung und Durchführung ihrer Sprühaktivitäten und Flugblattaktionen mit ein. Bald darauf stieß ich zur Avantgarde einer neuen Gesellschaftsordnung – den Antiimps. Genau genommen stießen sie zu mir. Allem voraus ging nämlich eine zweiwöchige Überwachung. Sie folgten mir auf Schritt und Tritt, klopften wenigstens einmal am Tag an meine Tür und hielten sich immer dann zufällig in der Nähe des Telefons auf, wenn ich zum Hörer griff. Nachdem ich sie von meiner ungetrübten Reinheit überzeugt hatte, nahmen sie mich in ihr fünfköpfiges Team auf und verfügten meine Anwesenheit zu ihren unregelmäßigen, nicht minder geheimen Zusammenkünften, die sie ausnahmslos in Hinterzimmern bürgerlicher Kneipen abhielten.
Im Herbst des Jahres begann ich dann, für die Kampfgazetten „Mauerbruch“ und „radikal“ zu schreiben. Der kleine Bruder redigierte und spendete großzügig für den Erhalt der Wurstblätter.
Donnerstags traf ich mich mit Kerker in der Nähe des Tiergartens. Früher stand hier eine Polizeikaserne, heute ist es ein planierter Großparkplatz. Ob der Geist des Vergangenen seine schützende Hand über uns hielt, entzieht sich meiner Kenntnis. Für Kerker und seine niedlichen Notizblöcke war es in jedem Fall ein gelungener Tag.
Nach einer kurzen Begrüßung fuhren wir in seinem polizeigrünen Dienst-Polo ein Restaurant der näheren Umgebung an. Wir aßen, tranken und besprachen die Ereignisse der zurückliegenden Woche.
Eines schönen Tages überraschte er mich mit der Nachricht, er habe eine Wohnung angemietet. In Gostenhof. Mehr als zwei Jahre Tiergartenritual gingen zu Ende. Todesmutig begaben wir uns mitten ins Löwengehege, wenn ich mal diesen abgeschmackten Vergleich benutzen darf.
Gostenhof war ein Stadtteil, wie er in jeder Großstadt zu finden ist: marode Häuser, niedrige Mieten, hoher Ausländeranteil, laute Kneipen. Multikulti, wie man heute die Slums der Metropolen zu umschreiben pflegt. Oder abgekürzt: das bevorzugte Umfeld körnerfressender Staatsfeinde.
Selbstverständlich gab es auch Ausnahmen. So etwa das winzige Einzimmerappartement im ersten Stock dieses sanierten Hauses auf der Müllnerstraße. Mit dem Wechsel vom Parkplatz in unsere konspirative Wohnung entstand ein schmerzliches Vakuum: Die gewohnten Restaurantbesuche entfielen. Meisterlich füllte es Kerker mit kulinarischen Leckerbissen vom Fleischer um die Ecke auf. Seither setzten wir bei kaltem Schnitzel, Brötchen und dünnem Kaffee unser destruktives Wirken fort.
Einmal fragte ich ihn, weshalb sich seine Diensttelefonnummer so völlig von der offiziell im Telefonbuch angegebenen unterscheide. Er kaute an einem Stück Schnitzelfleisch, lächelte verschwörerisch und vertraute mir an, dass seine Abteilung ihren Sitz außerhalb des Gebäudekomplexes in einer Nebenstraße im Münchner Stadtzentrum habe. Nicht aus Platzmangel, schob er umgehend nach, als würde es mich interessieren. Vielmehr der Sicherheit seiner Mitarbeiter wegen.
Gelangte ich, rein zufällig natürlich, in den Besitz so interessanter Unterlagen wie Notizbücher, Telefonverzeichnisse oder auch Tagebücher, musste ich mich derer (aus Sicherheitsgründen) sofort wieder entledigen. Zu diesem Zweck richtete Kerker beim Nürnberger Hauptpostamt ein Postfach auf den wohlklingenden Namen WIFO-Press ein.
Ob auf dem Nollendorfplatz in Berlin, der atomaren Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf in Bayern, der Startbahn West des Flughafens Frankfurt Main oder den unzähligen anderen Demonstrationen, Großveranstaltungen und Konzerte – überall da wo medienwirksame Krawalle angebracht waren, erinnerte mich Kerker rechtzeitig an mein unbegrenztes Spesenkonto und die zu erwartenden Prämien. Und ich war gern unterwegs.
Wirklich böse erwischt hat es mich dabei nur ein Mal. Wir beschlossen, gegen die in Ramstein stattfindende Flugschau zu demonstrieren und planten eine Sprühaktion vor Ort. Ausgerechnet mich und eine Type, die ich von dem ganzen Haufen am allerwenigsten ausstehen konnte, bestimmte das Plenum für diesen Umweltfrevel. Die Farbdosen enthielten nämlich Ozon gefährdende Treibgase, müssen Sie wissen.
„Machen Sie mit!“, befahl Kerker, „Es kann nur förderlich für Ihr Weiterkommen sein. Eventuelle Unannehmlichkeiten werden selbstverständlich von uns bereinigt.“
Ich gehorchte widerwillig und wurde prompt geschnappt. Es sind immer die kleinen Dinge im Leben, die gewöhnlich danebengehen.
Mein aufgezwungener Partner arbeitete in der Nacht vor der Show das Zufahrtsschild zur US Air Base politisch auf, ich pinkelte am Straßenrand den Begrenzungszaun der Kaserne an und irgendwo in meinem Rücken knurrte etwas, das sich nach höchstens fünf Meter entfernt, sehr ungeduldig und auffallend hundig anhörte. Oh, welche Schmach! Eilends schob ich den Kleinen in seine gewohnte Umgebung und ließ mich von einem halben Dutzend GIs widerstandslos festnehmen.
Nachdem sie herausgefunden hatten, dass wir, abgesehen von sechs Spraydosen, weder Waffen noch Sprengstoff mitführten, überreichten sie uns der herbeigeeilten deutschen Polizei, die ihr komplettes erkennungsdienstliches Programm vorführte und uns im Anschluss bis zum Abend des darauffolgenden Tages, dem Ende des Großereignisses, wegsperrte.
Tja, so war das damals. Gott, war das eine schöne Zeit! Ich sorgte dafür, dass sich Menschen, vermeintlich fremd, vermutlich über ähnliche Interessen verbunden, die Köpfe blutig schlugen, und kassierte bei Kerker fett ab. Und das Schönste: Ich tat es im Namen der Herrschenden. Allein die Politik entschied, ob eine Veranstaltung mit oder ohne Randale endete.
Eine nette, aber keine spektakulär aufregende Zeit. All die kaputten Typen und hübschen Mädchen, die da ihr Unwesen trieben. Reizvoll! Wirklich reizvoll. Ja, ehrlich! Also, ich meine, da mischen sich 6 Antiimps und 18 Autonome unter fast eine halbe Million Nürnberger; 24 pubertierende Rabauken, die die Grundfesten unserer staatlichen Ordnung zu erschüttern drohten.
Bleiben Sie sitzen. Natürlich war mir bekannt, dass sich in der jährlichen Verfassungsschutzbibel andere, weitaus höhere Zahlen fanden. Kerker sagte, dass kein Geheimdienst der Welt so dumm sei, seine tatsächlichen Erkenntnisse öffentlich zu machen. Außerdem entscheide letztlich die Politik. Und wer sei schon imstande, die Angaben nachzuprüfen? Wüsste der Bürger, dass nur ein paar halbwüchsige Hanserle herumsprängen, wie sollten da noch Gesetzesinitiativen durchgeboxt werden?
Einleuchtendes Argument, nicht wahr. Da konnte ich ihm nur beipflichten.
Nun werden Sie sich fragen, warum ich nach vier Jahren ausstieg.
Zum einen bin ich Wanderer. Zum anderen war es nicht berauschend komisch, tagtäglich sich und seine Identität infrage zu stellen; auf jedes Wort, jede noch so unbedeutende Bemerkung, jede Geste, die als szeneuntypisch und damit verräterisch wirken konnte, zu achten. Ich wollte einfach mal wieder die Kleidung tragen, die mir gefällt, über Dinge sprechen, die mich bewegen, Bilder an die Wände meiner Wohnung hängen, die einfach nur schön sind – und mich mit alten Freunden treffen. Ich wollte mein Ich zurück, einfach nur mal wieder Ich sein.
Auf Dauer zehrte dieses penetrante Versteckspiel an der Substanz. Und an den bestehenden Zuständen würde sich ohnehin nichts Gravierendes ändern, ob ich nun bliebe oder nicht. Jede Generation macht sich ihre eigenen politischen Probleme. Solange nicht mit Sprengstoff hantiert wird, ist die Welt in Ordnung.
Insgesamt betrachtete sah ich meinen Auftrag als erledigt. Es wurde ruhig. Die Revolution litt an Fußkranken und an der plötzlichen Sehnsucht nach einer Einbauküche. Auch Vollblutrevoluzzer werden erwachsen, gründen Familien, binden Krawatten und steigen in gut dotierte Jobs ein.
Die Rebellion bettete sich zur Ruhe.
In der Hoffnung, irgendwo eine Demo zu erhaschen, reiste ich kreuz und quer durch Deutschland. Anfangs marschierten sie an jedem Wochenende. Doch zuletzt musste ich immer öfter Hand anlegen, um Kerkers Sammelwahn und mein Einkommen zu sichern.
Das deprimiert, kann ich Ihnen sagen.
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